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DIE MASCHINE ALS DEUTER?
Die Übersetzungskunst im Spannungsverhältnis zur Computer-Vermittlung

Wenzeslav Konstantinov

web

    Denn, was man auch von der Unzulänglichkeit
    des Übersetzens sagen mag, so ist und bleibt
    es doch eins der wichtigsten Geschäfte in dem
    allgemeinen Weltwesen.1

            Goethe

In unserer Zeit durchdringt die Computertechnologie nahezu alle Bereiche menschlicher Tätigkeit. Vom Computer wird erwartet und erzielt, "in wirtschaftliche, politische, militärische, soziale und kommunikative Entwicklungen und Abläufe verändernd einzugreifen und ganz neue Formen interdisziplinärer Kooperation zu entwickeln".2 Jedoch trotz großem Personal-, Geld und Zeitaufwand hat die Computer-Übersetzung die in sie gesetzten Hoffnungen von Ende der 40er Jahre bis zum heutigen Tag nicht erfüllen können. Es wurden zwar computergestützte Systeme aufgebaut, es gibt aber kein selbständiges operatives Maschinenübersetzungssystem im Sinne der Konzeption einer "Fully Automatic High Quality Translation" (Bar-Hillel).

Gerade durch ihr Scheitern hat sich die Computer-Übersetzung um das richtige Erfassen menschlicher Translationsfähigkeit, insbesondere der Übersetzungskunst, verdient gemacht. Die Maschine hat gezeigt, daß sie nicht eine Entwicklung in Richtung auf den Menschen nehmen kann. Der Versuch, dem Computer beizubringen, "menschlich" zu denken und kreativ zu sein, hat sich als aussichtslos erwiesen. In diesem Sinne hat die Maschinenübersetzung mit der Computergraphik etwas gemeinsam: ohne den Einsatz menschlichen Talentes ist der Rechner nicht im Stande, Kunstwerte zu produzieren; er ist und bleibt ein Werkzeug.

Um die Möglichkeiten und Grenzen der maschinellen Vermittlung sichtbar zu machen, ist es von Nöten, das Phänomen Kunstübersetzung in seiner Doppelwertigkeit als Produkt und Prozeß zu erfassen.

 

I. DIE ÜBERSETZUNG ALS ROLLENSPIEL

    Was die poetische Sprache mit den Bildern tut,
    ist ein Spiel.

        Johan Huizinga

Die Übersetzung ist laut Brockhaus "die Übertragung von Gesprochenem oder Geschriebenem aus einer Sprache in eine andere"3.

Diese Formulierung stammt aus dem Jahr 1957 und teilt das Schicksal seines Gegenstandes: sie ist schnell gealtert. Denn in der nächsten, der 17. Auflage aus dem Jahr 1974 heißt es schon: "Übersetzung ist die Übertragung von Gesprochenem oder Geschriebenem aus einer Sprache (Ausgangssprache) in eine andere durch einen -> Übersetzer oder -> Dolmetscher."4

Neu ist hier die Einteilung in Ausgangs- und Zielsprache. Aufschlußreicher aber ist der Hinweis darüber, wer die Übersetzung zustande bringt. Denn sie entsteht nicht von selbst. Es folgt wieder eine Einteilung: in Übersetzer und Dolmetscher.

Den Unterschied zwischen Übersetzer und Dolmetscher formuliert im Jahr 1979 das Mayers Enzyklopädische Lexikon folgendermaßen:

"Die Übersetzung ist die Wiedergabe eines Textes in einer anderen Sprache. Sie ist Form der schriftlichen Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg im Gegensatz zur aktuellen, mündlichen Vermittlung des Dolmetschers."5

Das Neue daran - und dies ist wichtig - ist die Bezeichnung der Übersetzung als "Wiedergabe" und als Form der schriftlichen  K o m m u n i k a t i o n.

Schon der nächste Satz im Brockhaus-Artikel aus dem Jahr 1957 klingt beunruhigend - er weist auf die Krise der Übersetzung:

"Nur das Logisch-Abstrakte läßt sich ohne Wesensveränderung aus einer Sprache in eine andere übertragen, obwohl auch hier die Gefahr einer Bedeutungsverschiebung stets vorhanden ist."6

Ausgelöst wurde diese Krise durch die ersten (erfolglosen) Versuche, eine elektronische Maschine "zur selbsttätigen vollständigen und augenblicklichen Übersetzung von Schriftstücken in verschiedenen Sprachen" zu konstruieren.

Jedoch siebzehn Jahre später macht sich in der Brockhausausgabe eine gewisse Beruhigung bemerkbar. Der Artikel setzt fort mit der Behauptung:

"Sie (die Gefahr einer Bedeutungsverschiebung) ist dort am geringsten, wo die Wissenschaft bereits durch eine einheitliche Terminologie die beste Vorarbeit für eine Übersetzung geleistet hat: die eindeutige Zuordnung der Wörter zu den gemeinten Sachen oder Vorstellungen."7

Inzwischen ist die Arbeit an der Computer-Übersetzung, trotz der enormen Entwicklung der Mikroelektronik, weltweit steckengeblieben. Fachtexte, geschweige denn literarische Werke, ließen sich von der Maschine nicht übertragen. Der Brockhaus-Artikel schlußfolgert fast pessimistisch: "Wenn aber Sprache und Gehalt eine untrennbare Ganzheit bilden..., kann jede Übersetzung nur eine möglichst starke Annäherung an das Original sein."8

Zusammenfassend könnte man sagen:

Trotz der 'Hilfeleistung' durch die Wissenschaft läßt sich von der Maschine nur das "Logisch-Abstrakte" und dies auch nur annähernd, übertragen.

An dieser Stelle ergeben sich für den kritischen Betrachter folgende Fragen:

Was ist denn jenes "Unlogisch-Konkrete", das sich im Gegensatz zum "Logisch-Abstrakten" überhaupt nicht ohne Wesensveränderung übertragen läßt?

Ist damit die ganze schöne Literatur oder sind nur bestimmte dichterische Werke gemeint?

Warum existieren dann Übertragungen vom "Unlogisch-Konkreten", und zwar so viele; warum ist "ein Großteil der Weltliteratur ins Deutsche übertragen worden und warum - laut Mayers Lexikon - wird diese Tendenz laufend fortgeführt"9?

Warum hat kein geringerer als Goethe das Übersetzen (vom offensichtlich "Unlogisch-Konkreten") als eins der wichtigsten Geschäfte im allgemeinen Weltwesen bezeichnet?

Zum Schluß entsteht eine besonders wichtige Frage:

Wieso kommt die Übersetzungswissenschaft zu der Schlußfolgerung, daß  "j e d e  Übersetzung nur eine möglichst starke Annäherung an das Original sein kann"?

Wieso  j e d e  Ü b e r s e t z u n g? Kann die wortgetreue maschinelle Übertragung eines meteorologischen Berichtes nicht die vollkommene Wiedergabe des Originals sein? Eine solche Übersetzung würde nicht nur den Wortlaut und den Wortsinn des Originaltextes wahren, sondern auch seine Form und seine "durch Klangwerte bedingte Stimmung".10 Eine solche Übersetzung brauchte nicht "sich ohne ängstliches Sich-Klammern an Wortsinn und äußere Form den formalen, seelischen und gedanklichen Werten des Originals gleichermaßen zu nähern"11, denn sie wäre in ihrer Eigenart dem Original gleichwertig. Die Formulierung aus dem Brockhaus betrifft also nicht jede, sondern eine oder mehrere Übersetzungsarten. Welche sind sie? Aufschluß hierzu gibt Mayers Lexikon:

"Nach der Nähe zum Originaltext wird auch begrifflich differenziert zwischen Übersetzung (möglichst wortgetreuer Anschluß ans Original), Übertragung (freiere sinnbetonte Wiedergabe unter voller Berücksichtigung der semantischen, idiomatischen und stilistischen Eigentümlichkeiten der Zielsprache), Nachdichtung (formbedachte und gehaltkonforme Nachschöpfung, besonders bei poetischen Texten)."12

Die maschinelle Übersetzung eines Wetterberichtes könnte also ein möglichst wortgetreuer Anschluß ans Original sein. Aber muß sie es unbedingt sein?

Hier ergibt sich für die Übersetzungswissenschaft die Gegenfrage: Kann ein meteorologischer Bericht nicht nachgedichtet werden? Hängt das vom "inhaltbetonten Texttypus" oder ausschließlich vom Willen des Übersetzers ab?

Hier ein erfundenes Beispiel:

Auf der Ostsee-Insel Hiddensee lebt ein Meteorologe, der sich als Poet und Übersetzer wähnt. Über Funk empfängt er den Tageswetterbericht auf englisch, der - sachlich ins Deutsche übertragen - folgendermaßen lauten würde:

"Am Rande des Tiefdrucksystems 'Johanna' über Nordeuropa kommt kühle Meeresluft subpolaren Ursprungs nach Norddeutschland. Am Tage ist es wechselnd, zeitweise stark bewölkt und vor allem in der zweiten Tageshälfte Schauer. Bei schwachem bis mäßigem Westwind höchste Temperatur kaum 20 Grad, tiefste 10 Grad Celsius. Vorhersage für morgen: Wechselnd stark bewölkt und heiter, aber kaum Schauer. Schwacher bis mäßiger Wind aus Nordwest bis West. Höchste Temperatur etwas über 20 Grad, tiefste 12 Grad."

Der Meteorologe-Poet macht daraus eine für seine Mitbürger bestimmte dichterische Übersetzung:

"Ach, das Wetter! Es gibt wohl noch Zehntausende von weit- und viel gereisten gebildeten Menschen, die in Capri, Nizza, Norwegen usw. waren, aber Hiddensee nicht kennen. Und ein Grund mag auch zum Teil darin liegen, daß das Wetter hier, wie auch heute, meist miserabel ist. Die schmale, etwa 17 km lange, höchstens 1 km breite und knapp 19 Quadratkilometer große Ostsee-Insel, wie ein Wellenbrecher der Nordwestküste Rügens vorgelagert und normalerweise nur mit der Fähre erreichbar, war immer schon ein 'Geheimtip'. Dat söte Länneken, wie die rund 1300 Einheimischen auf platt ihr 'süßes Ländchen' nennen, zog seit jeher vor allem jene an, die abseits vom großen Trubel das Besondere suchten und sich, trotz des schlechten Wetters, an der schier unvergleichlichen Schönheit der Landschaft erfreuten. Am Rande des Tiefdrucksystems 'Johanna' über Nordeuropa - ach, diese weiblichen Benennungen der Naturmißstände - kommt kühle Meeresluft subpolaren Ursprungs nach Norddeutschland, also nach unserem heißgeliebten Kleinod Hiddensee und dem benachbarten Rügen. Eigentlich gehörten der Sage nach Hiddensee und Rügen früher zusammen. Die 'Überschwemmung' ging im wahrsten Sinne des Wortes auf das Konto einer ebenso reichen wie habgierigen Frau namens Hidde. Aber die lehrreiche Geschichte kennen wir doch alle, die stolzen Insulaner. Am Tage ist es wechselnd, zeitweise stark bewölkt und vor allem in der zweiten Tageshälfte, fast wie immer, Schauer. Bei schwachem bis mäßigem Westwind haben wir: höchste Temperatur kaum 20 Grad, tiefste 10 Grad Celsius. Es ist merkwürdig, daß trotz der häufigen Schauer gerade Künstler wie Ernst Barlach und Käthe Kolwitz, Schriftsteller wie Thomas Mann und Lion Feuchtwanger - nicht zu sprechen vom berühmtesten Inselgast, dem Dichter Gerhart Hauptmann -, auf Hiddensee erholsame Ferientage verlebten! Stummfilmstar Asta Nielsen besaß sogar ein kleines Landhaus, wo sie nicht nur selbst die Sommermonate genoß, sondern auch viele Gäste, trotz des fehlenden Sonnenscheins, beherbergte. Also morgen wechselnd, stark bewölkt und heiter, aber, das reinste Wunder, kaum Schauer. Schwacher bis mäßiger Wind aus Nordwest bis West. Höchste Temperatur etwas über 20 Grad, tiefste 12 Grad. Soweit der Wetterbericht von Hiddensee."

Das Merkwürdigste an dieser Übersetzung - und gerade das sei zu beachten - ist nicht die starke Abweichung vom Original, sondern ihre Brauchbarkeit. Für die stolzen Insulaner von Hiddensee könnte eine solche Übertragung sogar notwendig, also durchaus gerechtfertigt sein.

Worin besteht der Grundunterschied zwischen der einen - wortgetreuen - und der anderen - dichterischen - Übersetzung?

Die erste ist eine Sachübersetzung.

Die zweite ist eine Kunstübersetzung.

Eine Einteilung der sprachlichen Vermittlung in Sachübersetzung und Kunstübersetzung macht die langwierige Fachdiskussion, "ob sich die Übersetzung dem Original anpassen oder umgekehrt sich das Original der Übersetzung unterordnen müsse"13 überflüssig. Denn es gibt keinen einheitlichen Übersetzungsbegriff mehr.

Die Sachübersetzung, in deren Bereich auch die maschinelle Übersetzung einzuordnen ist, kennzeichnet sich dadurch, daß sie zwischen zwei Sprachen vermittelt. Dabei bleibt der Sachübersetzer in seinem Streben nach Genauigkeit unsichtbar und der Wert seiner Leistung wird gerade durch ihre Unpersönlichkeit gesteigert. Die Sachübersetzung hebt das WAS des Originals hervor.

Die Eigenart der Kunstübersetzung besteht darin, daß sie Kommunikation zwischen einem Autor, bzw. einem Text und einem Publikum herstellt. Dabei strebt der Kunstübersetzer nach ästhetischer Wirkung und ist durch den Einsatz seiner Person ein souveräner Darbieter. Die Kunstübersetzung hebt das WIE des Originals hervor. Hier gilt die Maxime aus dem 8. Stück der "Hamburgischen Dramaturgie" Lessings: "Allzu pünktliche Treue macht jede Übersetzung steif, weil unmöglich alles, was in der einen Sprache natürlich ist, es auch in der anderen sein kann."

In ihrer Eigenart als künstlerischer Darbietung sieht sich die Kunstübersetzung durch die Äußerung Walter Benjamins bestätigt: "Treue in der Übersetzung des einzelnen Wortes kann fast nie den Sinn voll wiedergeben, den es im Original hat. Denn dieser erschöpft sich nach seiner dichterischen Bedeutung für das Original nicht in dem Gemeinten, sondern gewinnt gerade dadurch, wie das Gemeinte an die Art des Meinens in dem bestimmten Worte gebunden ist."14

Daß die Worttreue für die Kunstübersetzung unmöglich, artfremd und daher unerwünscht ist, bezeugt eine Aussage von Ortega y Gasset: "Es ist utopisch zu glauben, daß zwei Wörter, die zwei verschiedenen Sprachen angehören und die uns das Wörterbuch als ihre wechselseitige Übersetzung anbietet, genau die gleichen Dinge bedeuten."15

Gerade aus der prinzipiellen Unwiederholbarkeit eines literarischen Textes folgert Rolf Kloepfer, daß "die literarische Übersetzung Kunst und nicht Handwerk ist".16 Wolfram Wilss analysiert diesen Sachverhalt eingehender: "Während die fachsprachliche Übersetzung ihrem Wesen nach eindeutig inhaltsbestimmt ist und ihr Ziel in vielen Fällen mit Hilfe einfacher, normgebundener Substitutionsvorgänge auf der Basis von fachsprachlichen Eins-zu-Eins-Entsprechungen erreicht, dominieren in der literarischen Übersetzung die syntagmatischen, konnotativen Ausdruckselemente, die im ausgangs- und zielsprachlichen Kontext oft ganz unterschiedlich verteilt sind und dem Übersetzer eine schöpferische Neugestaltung einer künstlerischen Aussage auf der Inhaltsebene und auf der Ausdrucksebene eines Textes abverlangen."17

So ist Sachübersetzung mehr einer angewandten Wissenschaft, Kunstübersetzung dagegen mehr einer interpretativen Kunst vergleichbar. Sach- und Kunstübersetzung sind also zwei verschiedene Leistungsbereiche, die durch die Übersetzungskritik entsprechend verschieden behandelt werden müssen.

Was die Kunstübersetzung anbetrifft, so ist sie als eigenständige Kunstgattung  l e g e  a r t i s  (nach den Gesetzen der Kunst) einzuschätzen und zu beurteilen.

Denn Übersetzung eines dichterischen Werkes ist ein theaterartiges Rollenspiel, das der Kunstübersetzer mehr oder weniger glücklich betreibt.

 

II. DER ÜBERSETZER ALS KOMÖDIANT

    Die Grenzen meiner Sprache
    sind die Grenzen meiner Welt.

          Ludwig Wittgenstein

Laut Brockhaus ist der Übersetzer "ein Sprachkundiger, der im Unterschied zum -> Dolmetscher Schriftgut von einer Sprache in eine andere schriftlich überträgt. Zu unterscheiden sind: Übersetzer literarischer Werke und Fachübersetzer (Übersetzung von Gutachten, Betriebsanleitungen, Urkunden, Prospekten, Fachartikeln, Katalogen, Gerichtsurteilen, wissenschaftlichen Werken u.a.)."18

Das ist alles. Kein Wort von der Eigentümlichkeit der Arbeit eines literarischen Übersetzers, obwohl der Unterschied zum Fachübersetzer angedeutet ist.

Laut Mayers Lexikon ist ein Fachübersetzer ein "Beruf mit Fachschulausbildung an Dolmetscherschulen oder mit Universitätsstudium... Von den jeweils zuständigen Landesbehörden erfolgt die Bestellung zum allgemeinen beeidigten Übersetzer".19

Auch dieser Artikel besagt nicht viel, wie ein Fachübersetzer und wie ein literarischer Übersetzer arbeitet, und ob und wie sie differenziert ausgebildet werden müssen? Gerade diese Frage müßte die Übersetzungswissenschaft besonders stark interessieren. Denn dadurch könnte sie ihre Beurteilungen besser begründen.

Worauf ist diese Erkenntnisunzulänglichkeit zurückzuführen?

"Unserer Zeit gilt - so ein Aufsatz von Fritz Nies - Wissenschaft weithin als Faszinosum, Wissenschaftlichkeit als begehrtes Statussymbol. Ausbildungsgänge wie Bildungsinstitutionen erstreben heiß eine wissenschaftliche Aura... So liegt eine Gefahr allzu nahe: die Hochschulausbildung von Literaturübersetzern allzu "wissenschaftlich", allzu theorielastig zu konzipieren."20

Das bringt aber für die Übersetzungstheorie die Gefahr nahe, die Kunstübersetzungen als angewandte Wissenschaft und nicht als Kunstgattung aufzufassen und zu beurteilen. Dadurch wird die Unterscheidung zwischen den Übersetzungsarten nur auf Grund textlinguistischer Besonderheiten (Fachtexte/Literaturtexte), und nicht auf Grund des Übersetzensverfahrens vollzogen.

Gerade das Übersetzensverfahren aber sei für die Übersetzungstheorie maßgebend.

Vom Fernsehsprecher wird ein Börsenbericht auf eine gezielt unpersönliche, reproduzierbare Weise gelesen. Doch der gleiche Bericht, in die Komödie von Hans Magnus Enzensberger "Der Untergang der Titanic" aufgenommen, wird vom Schauspieler auf einer ganz anderen, persönlich akzentuierten, einmaligen Weise dargeboten.

In bezug auf die Textbehandlung läßt sich der Sachübersetzer mit dem Nachrichtensprecher, der Kunstübersetzer dagegen mit dem Schauspieler vergleichen.

Der Brockhaus zu diesem Sachverhalt: "Jedes dichterische Kunstwerk verlangt eine ihm angemessene Übersetzerpersönlichkeit, die über die genaue Kenntnis der fremden Sprache und das zur Vermittlung des Stoffes notwendige Sachwissen hinaus auch das Empfinden für die Ausdrucksmöglichkeiten der eigenen Sprache besitzt, mit denen sie Inhalt, Geist, Stimmung und Form des Originals wiedergeben muß."21

Trotz der Erkenntnis, daß für die Entstehung und folglich für die kritische Bewertung einer Kunstübersetzung die Übersetzerpersönlichkeit maßgebend ist, bleibt die Tätigkeit des Kunstübersetzers in ihrer Eigenart unerforscht. Darauf weist eine Einschätzung von Wilss hin: "Im Vergleich zu den intensiven Bemühungen der Übersetzungswissenschaft, von textlinguistischen Fragestellungen aus den Problemen der funktionalen Äquivalenz zwischen ausgangssprachlichem und zielsprachlichem Text neue Perspektiven abzugewinnen und durch textanalytische Verfahrensweisen eine relativ sichere Grundlage für die Beantwortung der Frage nach dem Grad der Übersetzbarkeit von Texten und dem jeweils optimalen übersetzungsmethodischen Ansatz zu finden, ist die Rolle des Übersetzers beim Zustandekommen der Übersetzung noch immer weithin in Dunkel gehüllt."22

Und Otto Kade formuliert das Problem noch schärfer: "Bei der Gestaltung des neuen Textes in der Sprache der Übersetzung kommt man ohne künstlerische Begabung, ohne schriftstellerisches Talent nicht aus. Das gilt nicht nur für poetische, sondern auch für prosaische Übersetzungen. Die prosaischste aller prosaischen Übersetzungen innerhalb des literarischen Schaffens ist nicht möglich ohne künstlerische Begabung, d.h. ohne die Fähigkeit, schöpferisch intuitiv das Wortmaterial zu handhaben."23

Für die Übersetzungswissenschaft sei der Kunstübersetzer also ein Schaffender, dessen Können darin besteht, mittels der dichterischen Sprache, durch die Bilder des Originalwerkes nach den Gesetzen der Kunst ein neues Werk entstehen zu lassen.

"Die dichterische Sprache unterscheidet sich von der gewöhnlichen dadurch, daß sie sich absichtlich in besonderen Bildern ausdrückt, die nicht jedermann versteht... Was die poetische Sprache mit den Bildern tut, ist ein Spiel."24 So Johan Huizinga.

Als Mittler, als Medium zwischen dem Autor und einem fremdsprachigen Publikum hat der Kunstübersetzer etwas vom Schauspieler, vom Komödianten. Er ist ein typischer "homo ludens".

Der Kunstübersetzer spielt seine Rolle, indem er in die Haut des Autors schlüpft und sich in die Personen des literarischen Werkes hineindenkt. Seine Kunst ist die Kunst der Verwandlung. "Die ganze Spannweite einer großen Rolle zu umfassen, das Hell und Dunkel abzustimmen, das Weiche und Schwache, gleich stark zu sein an ruhigen und an bewegten Stellen, farbig zu sein in den Einzelheiten, harmonisch und geschlossen im Ganzen, sich ein durchgehendes System des Sprachklangs zu schaffen, das selbst die Launen und Schwächen des Dichters überbrückt, das ist die Leistung eines kühlen Kopfes, klaren Verstandes, ausgezeichneten Geschmacks, eines genauen Studiums, langer Erfahrung und eines vorzüglichen Gedächtnisses, das nicht alltäglich ist."25

Diese Einschätzungen Diderots über den Schauspieler aus seiner Schrift "Paradoxe sur le comedien" gelten im gleichen Maße für den Kunstübersetzer.

Der Kunstübersetzer ist ein Schreibender, dessen Arbeitsmaterial die Wörter sind. Seine Tätigkeit ist jedoch mit jener des Schriftstellers kaum identisch. Denn ein Schriftsteller drückt sich selbst aus - er muß sich von den fremden dichterischen Welten maximal abgrenzen, um seine eigene aufbauen zu können.

Der Übersetzer dagegen deutet, erklärt und legt ein fremdes Kunstwerk aus. Er beurteilt es und schafft ihm ein neues Leben in einem neuen sprachlichen Gewand, in einem neuen kulturellen Kontext.

Obwohl kein Schriftsteller, gelangt der Kunstübersetzer zu seiner Selbstverwirklichung durch das Schreiben. Darin besteht "le paradoxe sur le traducteur".

 

III. ELEND UND GLANZ DER INTERPRETATION

      Die armen Wörter, die im Alltag darben.

              Rainer Maria Rilke

Im Gegensatz zur Sachübersetzung strebt die Kunstübersetzung nach keiner "Annäherung an das Original", sie funktioniert anders. Übersetzung und Original lassen sich nur formal vergleichen. (Von einer Hamlet-Inszenierung könnte man auch nicht sagen, sie sei eine Annäherung an Shakespeares Original.) Diesen Grundunterschied hat Walter Benjamin schon erkannt: "Die Übersetzung... sieht sich nicht wie die Dichtung gleichsam im inneren Bergwald der Sprache selbst, sondern außerhalb desselben, ihm gegenüber, und ohne ihn zu betreten, ruft sie das Original hinein, an denjenigen einzigen Ort hinein, wo jeweils das Echo in der eigenen den Widerhall eines Werkes der fremden Sprache zu geben vermag."26

Trotz der rein reproduktiven Unzulänglichkeit der Kunstübersetzung kann die Wiedergabe eines dichterischen Werkes in eine andere Sprache durchaus befriedigend, gelegentlich sogar kongenial sein. Übersetzung und Original sind nicht dem Text nach, sondern der Wirkung nach zu vergleichen.

"Zwischen der Übersetzung und dem Original besteht die Beziehung eines Werkes zu seiner Ausführung in einem anderen Material; deshalb soll als Konstante... der resultierende Eindruck, die Wirkung des Werks auf den Leser angesehen werden."27 So Jiri Levy.

Diese Wirkung auf das Lesepublikum in einer fremden Kultur- und Sprachumgebung wird durch die Kunst der Interpretation erlangt.

Jede Kunstübersetzung ist schon Auslegung, man kann mit Gadamer sagen: "Sie ist immer die Vollendung der Auslegung, die der Übersetzer dem ihm vorgegebenen Wort hat angedeihen lassen."28

Es geht hier nicht um die Entscheidungen, die ein Übersetzer in bezug auf Wörter, Redewendungen und lexikalische Besonderheiten trifft. Es geht um Interpretation im weitesten Sinne, die auf die Erkenntnis des gesamten Textes aus ist, also es geht um einen - nach Katharina Reiß - "hermeneutischen Prozeß, der bereits mit dem bloßen Lesen eines jeden Textes in Gang kommt... denn die Interpretation steht und fällt letztlich mit der Person des Interpreten. Seine geistigen Fähigkeiten, seine eigene Wesensart, sein menschliches Verhaftetsein in Raum und Zeit, aber auch der Grad seiner Sprachbeherrschung und seiner Bildung, setzen seiner Interpretationsfähigkeit subjektive Grenzen, leiten sie in bestimmte Bahnen und veranlassen ihn dazu in seinem Sinn zu akzentuieren, seine Wahl bei der Entscheidung zu treffen, was und wie er übersetzen will."29

Dazu auch Wilss: "Jeder Übersetzer besitzt aufgrund seiner sprachlichen und außersprachlichen Wirklichkeitserfahrung, seiner translatorischen Interessenlage und seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sprachgemeinschaft und einer bestimmten sozialen Gruppe ein Wertsystem, das seine übersetzerische Produktion mehr oder minder umfassend steuert und determiniert."30

Für die Übersetzungswissenschaft ist es wichtig, feststellen zu können, ob und wie das Wertsystem des Kunstübersetzers mit jenem des Autors zusammenfällt oder zusammenstößt, wo der Übergang aus der Interpretation in eine Paraphrase des Originals stattfindet, und wo die Paraphrase in reine Willkür übergeht. Im Vergleich zur Computer-Vermittlung hat die menschliche Übersetzung ihre arteigenen Schwächen.

Dazu zwei markante Beispiele:

In seiner Hamlet-Übersetzung hat August Wilhelm von Schlegel eine Verszeile aus dem 5. Akt verwirrend frei interpretiert. Das ist die Stelle, wo sich Hamlet mit Laertes duelliert und der König zur Königin, kurz vor dem tragischen Ende, sagt: "Unser Sohn gewinnt!"

Die Antwort der Königin im Original lautet:

"He's fat, and scant of breath."

Schlegel übersetzt die Replik folgendermaßen:

"Er ist in Schweiß und außer Atem."31

Bei Shakespeare ist Hamlet "fat", was nichts anderes als "fett" bedeutet. Bei Schlegel dagegen ist er nur "in Schweiß". Es ist unmöglich zu glauben, daß der Übersetzer diese Stelle (wie manche andere) mißverstanden hat. Wie ist dann diese falsche oder willkürlich freie Übersetzung zustandegekommen?

Die Schlegel-Forschung weist darauf hin, daß Schlegels Vorlage in der Regel auf die Quarto-Fassungen des Hamlet zurückgeht, während die besten Ausgaben heute den Folio-Text vorziehen.

Aber gerade in der besagten Quarto-Fassung findet man wieder:

"He's fat, and scant of breath."32

Shakespeare selbst hat Hamlet als "fat" erschaffen und ihn als einen melancholischen Dicken aussehen und handeln lassen.

Es gibt keine Erklärung für die Mißinterpretation Schlegels. Dazu ist auch bekannt, daß gerade Goethe einen fetten Schauspieler für die Rolle Hamlets im Weimarer Theater verlangte.

Es ist anzunehmen, daß August Wilhelm von Schlegel, als Vorbote der deutschen Romantiker, sich einen fetten Hamlet einfach nicht vorstellen konnte oder wollte. So hat er die tragische Gestalt des Prinzen von Dänemark nach dem Geschmack seiner Zeit verändert. Auch die folgenden Zeiten haben diese Abweichung vom Original als sehr bequem empfunden. Berühmte Hamlet-Darsteller - von Joseph Kainz bis Sir Laurence Olivier - zogen es vor, einen schlanken und bleichen Prinzen darzustellen und dadurch dem Publikum, besonders dem weiblichen Teil, ein ästhetisches Vergnügen zu bereiten. Die hagere Gestalt Hamlets hat sich durchgesetzt und ist für das Theater selbstverständlich geworden.

Die falsche Interpretation Schlegels ist zur Tradition und für viele folgende Übersetzungen - sogar in Bulgarien - maßgebend geworden. Erst 1928 hat Friedrich Gundolf in seiner Shakespeare-Ausgabe diese Stelle der Schlegelschen Übertragung berichtigt und Hamlet ist heutzutage in den Buchausgaben, aber nicht auf der Bühne, wieder fett und schwitzend.

Ein anderes Beispiel von Mißinterpretation findet man in der Jüngeren Edda, die zwischen 1220 und 1230 von dem isländischen Dichter Snorri Sturluson als Lehrbuch für junge Skalden verfaßt wurde. Die Alte Edda lesend, hat Snorri das Wort "ragnarök", was "Götterverhängnis" bedeutet, mit "ragna rokkr", also "Götterfinsternis", verwechselt und es so in sein Werk aufgenommen.

Der von Richard Wagner für den letzten Teil des "Ringes des Nibelungen" gewählte Titel "Götterdämmerung" beruht auf die falsche Übersetzung dieses Begriffes.

So hat diese unbeabsichtigte Mißinterpretation über das Werk Richard Wagners hinaus weltweite Verbreitung gefunden.

Beide Beispiele haben etwas gemeinsam:

Die Fehlleistungen der Interpreten sind für die Kulturgeschichte folgenschwerer geworden als die Originaltexte selbst. Denn habent sua fata libelli, und das gilt auch für die Kunstübersetzungen - sie erhalten nicht nur als Text, sondern auch durch ihr Schicksal einen Wert.

Außerhalb der nationalen Kultur zu übersetzen, jenseits ihrer Zielsetzungen und abgesehen von der Literaturentwicklung im eigenen Lande dichterische Werke zu interpretieren, ist denkbar, jedoch sinnlos. Die Übersetzer sind nicht bloß "die Postkutschenpferde der Aufklärung", nach den geflügelten Worten Alexander Puschkins. Sie gebrauchen keine Muskelkraft, um geistige Werte und Kunst-Sendungen zu übertragen. Ein Kunstübersetzer bestimmt allein seine Wege, sowie den Umfang und den Inhalt der beförderten "Sendungen". Bei seiner Tätigkeit liegt ihm nicht nur daran, WIE, sondern auch WAS er übersetzt. Und dieses WAS mag bei dem Aufbau des eigenen Übersetzungswerks von entscheidender Bedeutung sein.

Je nach Breite seiner Bildung und seiner ästhetischen Anschauung setzt der Kunstübersetzer bestimmte Autoren und Werke der Weltliteratur im eigenen Lande durch. Die Nationalliteratur bekommt dadurch eine neue Farbe und einen neuen Sinn, denn sie öffnet sich der Welt. Gelegentlich kann eine Kunstübersetzung durch ihre Wichtigkeit "die bestehende Ordnung der Kulturdenkmäler verändern" (Thomas Stearns Eliot).

Die Kulturgeschichte jedes Landes kennt Beispiele für Kunstübersetzungen, die die Literaturentwicklung gefördert haben. Den nachhaltigsten Einfluß auf die Entstehung einer neuhochdeutscher Schriftsprache, und damit einer neuartigen Literatur, übte kein Originalwerk aus, sondern Martin Luthers Bibelübersetzung.

Künstlerische Ansprüche erhebende Übersetzungen von Werken der Weltliteratur können zu einem Gradmesser des literarischen Geschmackswandels werden.

So mag unter Umständen ein übersetztes dichterisches Werk einen größeren Einfluß im Gastland als das Original im Heimatland ausüben und dadurch den Autor und sein Werk ins richtige Licht rücken. Baudelaires Übersetzungen von Edgar Allain Poes Werke ins Französische haben auch in Amerika die Aufmerksamkeit des Lesepublikums auf den noch unbekannten "Dichter des Bösen" gelenkt.

Im ehemaligen sozialistischen Bulgarien z.B. haben gerade die Übersetzungen von ideologisch tabuisierten Autoren wie Franz Kafka, Marcel Proust, James Joyce, Max Frisch, Jose Ortega y Gasset eine fördernde Wirkung nicht nur auf die literarische, sondern auch auf die gesellschaftliche Entwicklung ausgeübt und dadurch unmerklich zum politischen Wandel im Lande beigetragen.

Jede Kunstübersetzung, zwar in verschiedenem Grade, hat eine kulturelle, d.h. gesellschaftliche Funktion. "Wenn wir einen Zusammenhang zwischen Übersetzung und Gesellschaft suchen, dann gibt es ihn nur dann, wenn die Übersetzung den Geist der Gesellschaft, und die Gesellschaft den Geist der Übersetzung reflektiert."33 So Karl Dedecius.

Das bedeutet keinesfalls, daß die Kunstübersetzung bloß einen "Gesellschaftsauftrag" erfüllt. Denn sie kommt durch den Übersetzer zustande, dessen persönliche kulturelle und existentielle Bedürfnisse oft diesen der Gesellschaft vorauseilen.

Der Kulturbeitrag eines Übersetzers erschöpft sich also nicht mit der Anzahl seiner Übersetzungen. Als Vermittler zwischen zwei nationalen Sprachgemeinschaften ist er auch ein Entdecker von Kunstschätzen. August Wilhelm von Schlegel sieht im Kunstübersetzer "einen Boten von Nation zu Nation, einen Vermittler gegenseitiger Achtung und Bewunderung dort, wo sonst Gleichgültigkeit oder gar Abneigung Statt fand".34 Der Kunstübersetzer führt also eine kulturelle Mission aus, die im Zeichen des "zivilisatorischen Kosmopolitismus" (Mitscherlich) steht.

Übersetzen selbst ist noch nicht Kunst. Den Beweis dafür bieten alle mißlungenen Versuche, eine Übersetzungsmaschine zu konstruieren. In dem halben Jahrhundert Forschungsarbeit auf diesem Gebiet hat es sich herausgestellt, daß der Computer einen Text bloß als Information, jedoch nicht als Kunstwerk vermitteln kann. Bei allem wissenschaftlichen Bemühen läßt sich die Tätigkeit des Kunstübersetzers nicht "soweit entpsychologisieren, daß sie automatentheoretisch dargestellt werden kann".35 Diese Formulierung von Wilss stammt aus dem Jahre 1977; elf Jahre später führt der erfahrene Theoretiker der maschinellen Übersetzung seinen Gedanken fort: "Deshalb ist die Befürchtung abwegig, der Rechner könne sich im Rahmen selbsterdachter Welten gleichsam verselbständigen und in Konkurrenz zum Menschen treten. Der Rechner kann sich nicht selbst programmieren; er ist und bleibt ein "Rechenknecht", der auf die Programmierleistung des Menschen angewiesen ist. Der Rechner hat weder Intuition noch Imagination. In seinem System waltet keine teleologische Kraft; er hat keine Vorstellung von der Zukunft. Die Vorstellung von einem "schöpferischen" Rechner ist wirklichkeitsfremd. Kein Rechner kann einen anderen Rechner eines Besseren belehren; er kann auch nicht über sich selbst nachdenken oder über einen anderen Rechner reflektieren. Wie man einem Blinden nicht die Erfahrung von Farben mitteilen kann, so kann man einem Rechner keine Bewußtseinserfahrung vermitteln."36

Noch wichtiger sei es aber, daß die Maschine keine Persönlichkeit, keine Individualität besitzt; sie kennt keine Gefühle, Grübeleien und Zweifel, dazu aber auch keine Inspiration und Verklärung. Kurzum: der Computer besitzt kein Talent, kein Schicksal. Die Kunstübersetzung, wie die Kunst überhaupt, ist und bleibt nur dem Menschen wesenseigen.

Denn der Kunstübersetzer gibt nicht Wörter, Wortgruppen und Satzzeichen wieder, sondern gestaltet eine dichterische Welt um, schreibt aufs neue, mit seinen eigenen Kunstmitteln, ein neues Werk. Dieses trägt alle Züge von Einmaligkeit, denn es ist das Ergebnis der Intelligenz, der Sensibilität, des Könnens und des Geschmacks des Übersetzers. Mit einem Wort: es ist das Ergebnis seines Talentes.

Gerade das individuelle Talent des Kunstübersetzers ist der Grund dafür, daß zwei gleichwertige Übertragungen von ein und demselben literarischen Werk praktisch unmöglich sind.

Vielmehr: Je größer, vielseitiger die Persönlichkeit des Übersetzers, desto eigenartiger, ungewöhnlicher, überraschender, seltsamer, dabei aber desto künstlerisch getreuer seine Übersetzung.

Der Geist eines Kunstwerkes kann nur durch den Geist eines Deuters freigesetzt werden.

 

 

ANMERKUNGEN

1. Goethes Briefwechsel mit Thomas Carlyle, hrsg. v. G. Hecht, Dachau o. J., S. 17: Brief Goethes an Carlyle vom 20.7.1827 [back]

2. Wolfram Wilss, Kognition und Übersetzung. Zu Theorie und Praxis der menschlichen und der maschinellen Übersetzung, Tübingen 1988, S. 235 [back]

3. Der Große Brockhaus, 16. Auflage, Wiesbaden 1957, Bd. 11, S. 714 [back]

4. Brockhaus Enzyklopädie, 17. Auflage, Wiesbaden 1974, Bd. 19, S. 172 [back]

5. Mayers Enzyklopädisches Lexikon, Mannheim/Wien/Zürich 1979, Bd. 24, S. 76 [back]

6. Der Große Brockhaus, S. 714 [back]

7. Brockhaus Enzyklopädie, S. 172 [back]

8. Ebd., S. 172 [back]

9. Mayers Enzyklopädisches Lexikon, S. 76 [back]

10. Brockhaus Enzyklopädie, S. 172 [back]

11. Ebd., S. 172 [back]

12. Mayers Enzyklopädisches Lexikon, S. 76 [back]

13. Wolfram Wilss, Übersetzungswissenschaft. Probleme und Methoden, Stuttgart 1977, S. 8 [back]

14. Walter Benjamin, "Die Aufgabe des Übersetzers", in: Illuminationen. Ausgewählte Schriften, hrsg. v. Siegfried Unseld, Frankfurt a.M. 1961, S. 65 [back]

15. José Ortega y Gasset, Elend und Glanz der Übersetzung, in: Gesammelte Werke, Stuttgart 1978, Bd. 4, S. 130 [back]

16. Rolf Kloepfer, Die Theorie der literarischen Übersetzung, München 1967, S. 10 [back]

17. Wolfram Wilss, 1977, a. a. O., S. 90 [back]

18. Brockhaus Enzyklopädie, S. 172 [back]

19. Mayers Enzyklopädisches Lexikon, S. 76 [back]

20. Fritz Nies, "Vom autodidaktischen Zubrot-Erwerb zur angewandten Wissenschaft. Literaturübersetzen: ein neuer Diplom-Studiengang der Universität Düsseldorf.", in: Der Übersetzer 24, Nr. 3/4 März/April 1990 [back]

21. Brockhaus Enzyklopädie, S. 173 [back]

22. Wolfram Wilss, 1977, a. a. O., S. 283 [back]

23. Otto Kade, "Zufall und Gesetzmäßigkeit in der Übersetzung", in: Beihefte zur Zeitschrift Fremdsprachen I, Leipzig 1968, S. 47 [back]

24. Johan Huizinga, Homo ludenS. Versuch einer Bestimmung des Spielelementes der Kultur, Basel/Brüssel/Köln/Wien 1949, S. 215 [back]

25. Denis Diderot, "Paradox über den Schauspieler", in: Diderot Insel-Almanach auf das Jahr 1984, Frankfurt a.M. 1983, S. 151 [back]

26. Walter Benjamin, a. a. O., S. 63 f [back]

27. Jiri Levy, Die literarische Übersetzung. Theorie einer Kunstgattung, Frankfurt a.M./Bonn 1969, S. 94 [back]

28. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1960, S. 365 [back]

29. Katharina Reiß, Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzungskritik. Kategorien und Kriterien für eine sachgerechte Beurteilung von Übersetzungen, München 1971, S. 107 [back]

30. Wolfram Wilss, 1977, a. a. O., S. 161 [back]

31. William Shakespeare, Hamlet. Dt. v. A. W. von Schlegel, Wuppertal 1948, S. 228 f [back]

32. William Shakespeare, The Tragedie of Hamlet Prince of Denmarke. Parallel Texts of the First and Second Quartos and the First Folio, Marburg 1913, S. 306 f [back]

33. Karl Dedecius, Vom Übersetzen. Theorie und Praxis, Frankfurt a.M. 1986, S. 42 f [back]

34. August Wilhelm von Schlegel, "Über die Bhagavad-Gita", in: H. J. Störig (Hrsg.), Das Problem des Übersetzens, Stuttgart 1963, S. 98 [back]

35. Wolfram Wilss, 1977, a. a. O., S. 322 [back]

36. Wolfram Wilss, 1988, a. a. O., S. 235 [back]

 

 

© Wenzeslav Konstantinov
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© E-magazine LiterNet, 17.07.2004, No 7 (56)