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AUS "DEM ÄHNLICHEN MIT ÄHNLICHEM"

Kapitel 10
MEIN BULGARIEN IST NICHT DIE ZWEITE SCHWEIZ

Tania Schellhorn

web

Es verging länger als eine Woche, seitdem ich nichts in mein Heft eingetragen habe. Ich verstand, wie sehr mir der Kontakt mit ihm fehlt. Als wäre etwas in mir entzweigegangen, ich fühlte mich wie "ein Baum ohne Wurzeln". In den letzten zwei Monaten waren wir unzertrennlich und es verging kein Tag, an dem wir uns nicht etwas mitgeteilt haben. Ich brauchte nur den Kugelschreiber zu nehmen, meine "Vertraute" zu öffnen und ihr das mitzuteilen, was mich bewegte. Sie hört mir nicht nur zu, sie ist unendlich geduldig und anspruchslos. Ich fügte noch Blätter hinzu und so sieht sie viel beeindruckender aus. Das ist Whoopie gleich aufgefallen. Ihm fehlten auch die weißen Blätter auf denen er seine schwarzen Spuren hinterließ.

Ich habe keinen Augenblick mein "Wunderheft" vergessen, nur kam aus Bulgarien eine Rivalin, die Tastatur für den Computer. Mein Freund Todor hat sich pünktlicher als eine Schweizeruhr erwiesen. Ich rief an und in einer Woche war die Sendung da. Vor mir stand eine nagelneue Tastenschönheit mit lateinischen Buchstaben in aristokratischer grauer Farbe und mit grellen kyrillischen Buchstaben in Königrot. Gleich beim ersten Blick meinte mein Mann sachkundig, dass "der Gast" aus Bulgarien bester Qualität, schöner als seine eigene Tastatur, mit bequem ausgehöhlten Tasten sei. Er schloss sie an meinen kleinen Computer an und ich setzte mich an ihn, leicht verlegen durch ihr Vorhandensein. Ich begann sie konzentriert und respektvoll zu studieren. Zuerst "begrüßte" ich alle Buchstaben - grau und rot und in Abwesenheit von meinem Mann verabredeten wir uns, dass sie mir bei meinem Unterfangen helfen. Sie erwiesen sich tatsächlich als sehr großzügig. Besonders die roten. Sie schoben sich von selbst unter meine Finger und zogen meinen Blick auf sich. Die größeren grau-lateinischen waren distanzierter (ihr aristokratisches Aussehen verpflichtete sie dazu). Ich strich über die Tasten und ihre Vertiefungen nahmen meine Fingerkuppen auf und stimmten mich zur Arbeit. Ich betrachtete diese Tastatur nicht mehr als Technik sondern als ein wunderbares Geschenk, begleitet von freundlichen Wünschen, sie bald zu beherrschen.

So verliefen schnell die Wochentage. Ich unterhielt mich mit meiner neuen Freundin und verbrachte einen ziemlich großen Teil meiner Zeit mit ihr. Ganz zu schweigen davon, dass mein Mann ihr sehr gewogen war. Er begann von mir viel mehr zu verlangen, als ich Lust hatte, es zu tun und setzte mir eine dreimonatige Frist die Anleitung, die er mir gekauft hatte, gründlich zu studieren. Ich begann immer häufiger zu meinem Heft zu blicken, das mit Fotos aus einer Puppenshow von mir beklebt war. Ich war ziemlich fortgeschritten in meinem Computerschreiben, es beraubte mich jedoch, so zu sagen, meiner "schöpferischen Konzentration". Ich konnte mich nicht auf das mich bewegende "Intime" konzentrieren und es schien mir als beginne ich "auszutrocknen" - gleich einem Baum ohne Wurzeln.

Ich hatte das seltsame Empfinden, dass ich etwas sehr Bekanntes erlebe, wusste es jedoch nicht zu bestimmen. Je mehr ich mich über meine Erfolge mit der "modernen Schönheit" freute, desto stärker wurde der Wunsch in mir, mich mit dem "Wunderheft" zurückzuziehen. Es verstand und unterstützte mich, ohne mich zu stören. Die zweite Woche begann, in der dessen Rivalin weiterhin herrschte. Ich konnte meine Gefühl schon klar definieren: Bewunderung, Achtung und verdiente Anerkennung für die moderne Computertechnik und ein geheimes, tief im Herzen verborgenes Gefühl zu meinem bescheidenen Heft, das sich nicht erklären ließ. Erst jetzt begriff ich warum mir diese Gefühle so vertraut waren! Schon vierzehn Jahre trage ich sie in meinem Herzen, sie sind von mir nicht wegzudenken und begleiten mich überall und immer: die Gefühle, die ich zu der wunderschönen Schweiz und zu meinem Bulgarien empfinde!

Heute, am dritten Frühlingstag nannte ich meine schöne Computertastatur "Zarija" und meine "wundersame Inspiratorin" "Garija". Schon wieder sind wir zusammen - ich mit dem Kugelschreiber in der Hand und die wundersame Garija" mit ausgebreiteten weißen Blättern: die eine Seite kariert, die andere ganz weiß. Sogar wenn ich wollte, könnte ich an diesem Gefühl nicht vorbei, das in mir immer entsteht, wenn der Name meines Vaterlandes genannt wird. Wasows Verse tauchen in meinem Gedächtnis auf und klingen jetzt viel stärker als in meiner Kindheit, wenn ich sie aufsagte.

"Einen Bulgaren mich zu nennen,
ist für mich die höchste Freude!"

Diese Worte habe ich mehrmals wiederholt: in Freude und Trauer, die ich im Ausland empfunden habe. Ich weiß nicht (mir ist es wenigstens nicht bekannt), ob sich jemand in der Weltpoesie auf diese Weise über seine Nationalität ausgedrückt hat. Verse, die die Schönheit des eigenen Landes besingen, haben viele Dichter geschrieben; stolze, patriotische Verse gibt es nicht wenig; wehmütige Lieder sind mit viel Gefühl und Talent gedichtet worden ... jedoch eine derart zum Ausdruck gebrachte Liebe, mit diesen zwei Worten "höchste Freude" gibt es vielleicht nicht!!! Manchmal frage ich mich, ob ich mich als einer anderen Nationalität zugehörig ausgeben könnte, weil ich im Ausland lebe oder einen anderen Pass besitze?! Dies sind reine Äußerlichkeiten: fürs Registrieren erforderliche Papiere. Genau so gut könnte ich (und zwar sehr gern) auf dem Mond, auf dem Ozeanboden, in einer menschenleeren Wüste leben ... überall würde ich jedoch Bulgarin bleiben!

* * *

Die Schweiz ist ein wunderschönes Land. Ihre Schönheiten lassen sich beschreiben, malen, fotografieren, filmen... endlos! Selbst durch die größte Geschicklichkeit, mit der dies getan wird, kann die Realität ihrer fabelhaften Schönheit nicht wiedergegeben werden. Diese reizvolle Landschaft aus Gebirgen, Tälern, vielen Seen, die von dem Schöpfer durch sein mächtiges Wort geschaffen wurde, ist einmalig. Die von dem Erlebnis dieser majestätischen Natur ausgelösten Gefühle bleiben für immer. Es gibt Orte, wo man vor Bewunderung den Atem anhält und erstarrt. Man fragt sich: "Gibt es das tatsächlich oder ist es nur eine Luftspiegelung!" Und welche verschiedenen Eindrücke hinterlässt jede Jahreszeit: jede eigenartig, reizvoll, veränderlich, nicht festzuhalten, wie der unerreichbare Ruhm des Schöpfers!

Johann Wolfgang von Goethe, der größte deutsche Dichter, hat in seinem Leben dreimal die Schweiz besucht. In seiner Jugend hat er geschrieben:

"In der Natur gelangen wir zur Kenntnis über Gott." Später meinte er, dass die Schweizernatur ihn so aufgeregt hat, dass er ein drittes Mal in die Schweiz fahren wolle.

Sein erster Besuch war mit der Flucht vor seiner großen Liebe Lili Schönemann verbunden. Jung, schön, intelligent, besaß sie alle Eigenschaften, die ein schüchternes Genie in die Flucht schlagen könnten. Goethe liebte Lili, fürchtete jedoch eine dauerhafte Bindung. Er kam in Zürich an, das zu dieser Zeit Mittelpunkt der deutschsprachigen Literatur war. Bei jedem Aufenthalt in dieser Stadt reizt es mich die Spuren von Goethe und Herzog Karl August zu verfolgen.

Ich folgte ihnen auch außerhalb Zürich, über den See zum Kloster Einsiedeln, dem Kanton Schwyz, über den Berg Rigi zu einer der schönsten Schweizerstädte Luzern. Dann über Altdorf, die sich wie Schlange windende Gotthardstrasse hinauf bis zum Gottardhospiz.

Später, 1779 unternimmt Goethe eine zweite Reise in die Schweiz, diesmal mit seinem Freund Herzog Karl August, dessen Geheimrat er war. Zweihundertzwanzig Jahre später ging ich ihren Spuren nach: Lauterbrunnen, der Wasserfall Staubbachfall, der Goethe zu seinem bekannten Gedicht "Gesang der Geister über den Wassern" inspiriert hat. Die Berglandschaft, die das große Genie so stark entzückt hat, bewegte auch unsere Herzen. Ich war da mit meinem Mann und dem Besuch aus Bulgarien: meiner Nichte Elena und deren Mann Nikolai, die zum ersten Mal in der Schweiz waren. Wir blieben lange stehen und konnten uns an dem wunderschönen Anblick nicht satt sehen. Nikolai drohte, dass er vor Hunger eine der nichts ahnenden weidenden Kühe verschlingen würde und unterstützte auf diese Weise meinen Mann in seiner Aufforderung zum Weitergehen.

Ich wollte die Spuren Goethes und des Herzogs weiter verfolgen. Ich habe, im Unterschied zu ihnen, schon bei meinem ersten Besuch in der Schweiz Lac Leman (oder den Genfer See) besucht.

Auch die zweite Schweizerreise ist eine Flucht Goethes vor dem Alltag seiner Regierungspflichten und der Weimarer Hofgesellschaft und vor seiner Freundin Charlotte von Stein.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten begab sich Goethe wieder nach der Schweiz. Zu dieser Zeit ist der geniale Weimarer Dichter schon zur Klassik übergewechselt. Er besuchte die wohl vertrauten Orte und Schaffhausen mit dem berühmten Rheinfall. Wie vor Jahren blieb er auch jetzt entzückt vom Naturspiel der riesigen Wassermassen stehen. Über seinen Eindruck von der Schweiz schrieb Goethe: "Mir ist wohl, dass ich ein Land kenne wie die Schweiz".

* * *

Zwei Monate, nachdem ich 1986 zum ersten Mal in der Schweiz eingetroffen war, lernte ich Bruno kennen: einen großmütigen Menschen, gut und edel. Er blieb einer meiner besten Schweizer Freunde. Er liebte die Natur, die klassische Musik, liebte die einfachen menschlichen Beziehungen. Er schenkte mir einen wunderschönen Bildband über die Schweiz mit der Empfehlung all die Orte zu besuchen, die dort abgebildet waren. In all den Jahren habe ich mehrmals im Band geblättert und die schon aufgesuchten Orte verzeichnet. Der Wunsch von Bruno wurde für mich zu einer Verpflichtung seinem Gedenken gegenüber. Vor einigen Jahren ist er von uns gegangen, tödlich verunglückt.

Mein Vater kam zum ersten Mal in die Schweiz 1987. Es war August: königliches Wetter. Bruno wollte uns einen "Schweizertag" schenken, der für immer in unserem Herzen blieb. Er hat die Marschroute so organisiert wie nur er es vermochte, Geschenke zu machen. Wir besuchten die Gegend unter dem Bergmassiv Jungfrau, einer der meist besuchten Touristenorte. Die drei Gipfel Eiger, Mönch und Jungfrau erheben sich majestätisch über dem ewig vereisten Gebirgssee. Die Ansicht ist tatsächlich beeindruckend, besonders im Sommer. Wir stehen am Fuße des Gletschers, genießen die Augustsonne und kurz danach tauchen in einen echten, tiefen Winter unter. Unglaublich! Bruno sagte, er sei einst hier als kleiner Junge mit seinem Opa gewesen, der ein großer Naturfreund war und dieser Ort war einer seiner Lieblingsorte. Während seines ganzen Lebens wollte er wieder hierher kommen um seines Opas zu gedenken, und immer fehlte es ihm an der Zeit dazu. Der heutige Tag war nicht nur "den Bulgaren", sondern auch ihm selbst gewidmet. Er war nicht weniger aufgeregt als wir, denn in ihm wurden die Erinnerungen aus seiner Kindheit wieder wach. Er erzählte auch die Sage über die drei Gipfel, ich habe sie jedoch nicht behalten. Später, als mir mein Mann den Ursprung, die Zusammensetzung und das Alter der alpinen Gletscher erklärte (er ist studierter Geologe und daher waren das seine Lieblingsgespräche), erwähnte er auch die Sage, die Bruno damals erzählt hatte.

Ein alter germanischer Heidengott namens Oger (die Schweizer haben ihn zu Eiger umbenannt) hat eine Jungfrau entführt und sie über diese Orte getragen, um sie zu verstecken. Ein Mönch, der da in Abgeschiedenheit lebte, hörte die Hilferufe, besiegte Eiger und befreite die Jungfrau. Aus dieser Legende leiten sich die Namen der drei Berggipfel ab.

Der mir von Bruno geschenkte Schweizertag blieb eine meiner teuersten Erinnerungen. Lange danach sah sich mein Vater immer wieder die Fotos an und erinnerte sich daran, wo er überall war, denn das in der Wirklichkeit Erlebte war schöner als ein Traum! Jetzt weilen beide nicht mehr unter uns. Die Worte meines schweizerischen Freundes haben sich als prophetisch erwiesen: "Heute kann ich etwas tun und bin glücklich darüber. Morgen könnte ich durchaus nicht da sein!" Bis jetzt habe ich diesen Ort nicht wieder besucht und was morgen wird, weiß ich nicht.

Über die Schweiz könnte ich solange ich lebe erzählen und ich werde mich nie an ihrer Schönheit satt sehen. Ich danke Gott, dass Er mir eine so vorzügliche Gabe zuteil werden ließ: ein Land wie die Schweiz kennen zu lernen!

* * *

Heute ist Sonntag, der 26. März, das Volksfest des heiligen Gabriels. Der himmlische Bote, der vor 2000 Jahren die frohe Botschaft von der Inkarnation des Sohnes Gottes auf die Erde gebracht hat, erschien vor Jungfrau Maria und sprach: "Freue dich Gebenedeite! Gesegnet bist du unter den Frauen!" Mariä Verkündigung ist mein Lieblingsfest, denn heute, wie die heilige Kirche preist, "beginnt unsere Erlösung und die Offenbarung des ewigen Geheimnisses".

Diesen Abend bin ich allein zu Hause. Mein Mann fuhr dienstlich für ein paar Tage nach Deutschland. Wieder schlage ich mein Heft auf und will über Bulgarien schreiben! Wie fange ich an? Was genau bewegt mich und wie drücke ich es aus? Die Worte sind so sinnentleert, wenn man dadurch ein bestimmtes Gefühl wiedergeben möchte. Und nie kommt das heraus, was man tatsächich fühlt!

Ich halte den Kugelschreiber in der Hand, die liebe "Garija" wartet geduldig und ich kann nicht mal einen Strich zeichnen. Es ist nicht leicht... ich weiß nicht. Hier kam mir der Kater Whoopie zu Hilfe - er sprang auf den Tisch und streckte sich auf den weißen Blättern aus, als wollte er mir verbieten zu schreiben. Ich gehorchte ihm. Ich stand auf und legte die Kassette ein: "Bulgarischer und russischer Kirchengesang", gesungen von Boris Christov und dem Chor der Kirche "Alexander Newski". Ich machte das Licht aus und richtete nur den Strahl einer Lampe auf das große Bild, das das Rilakloster darstellte. Ich setzte mich gegenüber und versetzte mich in Gedanken nach Bulgarien, in dem heiligen Rilakloster. Hell erleuchtet, wurde das Bild unter den Klängen der prächtigen Musik und der göttlichen Stimme unseres großen Sängers zum Leben erweckt. An den Schatten und Lichtern erkannte ich wo sich die Sonne in diesem Moment befindet und durch die Lage der Kirche bestimmte ich die vier Himmelsrichtungen. Das hohe Tor, das Kopfsteinpflaster, da betrete ich schon den Hof, atme den Duft von Buchsbäumen ein und höre das Rauschen des Brunnens. Mit tiefer Stimme sang Boris Christov "Beichtet dem himmlischen Gott!" Tränen rollten meine Wangen hinab... ich kann meiner Bewegung in diesem Augenblick kaum Ausdruck verleihen. Die Kassette war zu Ende. Sie schien mir so kurz, wie ein Augenblick! Ich wollte noch länger zu Hause sein... "Ich werde wieder hinüberfliegen", lächelte ich und wendete die Kassette um. Ich blickte auf die kleine Holzikone des heiligen Ioan von Rila (Juri, der Maler, hat mir noch nicht die Ikone unseres Heiligen gemalt, die ich neben das Bild stellen wollte). Jetzt wollte ich auch das Bild des heiligen Eremiten neben seinem Kloster unter den Klängen der himmlischen Musik sehen. Ich schlug einen Nagel ein und hängte die kleine Holzikone des heiligen Ioan von Rila auf. Dann schaltete ich den Recorder ein, nahm das Büchlein über das Leben unseres Heiligen und setzte mich vor das Bild.

"Halleluja, Halleluja!", klang die große Stimme. Die Worte strömten in meiner Seele über, wurden zur Materie, umrahmt von einem goldenbraunen Rahmen; das von dem Pinsel des Malers geschickt eingefangene Sonnenlicht breitete sich über die hohen Klostermauern aus, und der Wald antwortete flüsternd: "Lobet den Herrn!"

Zufällig schlug ich die Seite mit dem Vermächtnis unseres hochwürdigen Vaters: "Von nun an will ich in Ruhe und Stille leben, um meine Sünden zu büßen und Gnade von Gott zu erbeten, gedenket meiner, eures sündigen Vaters, in euren Gebeten, damit ich am Tag des Jüngsten Gerichts Gnade erlange, da ich nichts Gutes auf der Erde tun konnte und Angst vor dem Tag des Gerichts und den Qualen habe, die einen Sünder wie mich erwarten. Möge Gottes Gnade immer mit euch sein, indem sie euch erleuchtet und vor allem Übel beschützt. Amen".

Jedes Wort bewegte meine Seele tief...

Auch du, heiliger Vater Ioan nennst dich einen Sünder und fürchtest vor Gottes Gericht? Du, der du Engel in menschlicher Gestalt warst! Du, der du Gott geliebt hast bis zur völligen Selbstaufgabe!

Ich schlage die erste Seite des Vermächtnisses auf: "Ich, der demütige und sündige Ioan, der nichts Gutes auf der Erde getan hat, fand, in dieser Rila-Öde angekommen, keinen Menschen, sondern nur wilde Tiere und undurchdringliche Wälder vor. Und ich siedelte mich mit den Tieren dort an, ohne Nahrung, ohne Dach über dem Kopf. Der Himmel war mein Dach, die Erde mein Lager, und die Kräuter meine Nahrung. Der milde Gott jedoch, wegen Dessen Güte ich alles gering achtete und Hunger, Durst, Kälte, Sonnenglut und Körperblösse duldete, ließ mich nicht im Stich und belohnte als liebender und milder Vater all meine Entbehrung mit Überfluß. Wie soll ich Gott für alles danken, was Er mir Gutes getan hat?"

Ich richte meinen Blick auf die hohen Berge, in deren Mitte sich das Kloster vom heiligen Joan birgt. Es sieht so klein aus im Vergleich zu den ihn umgebenden Berggipfeln! Ich versuche mir vorzustellen, wie einst vor mehr als 1000 Jahren ein etwa 26 Jahre junger Mann, in Fellkleidung, in diesem undurchdringlichen Dickicht untertauchte, um Gott zu finden. Selig das Land, das solch einen Beschützer hat! Ich betrachte das auf der Ikone gemalte Antlitz und mein Herz flüstert: "Heiliger Vater Ioan, bete zu Gott für unsere sündigen Seelen!"

Das Bild füllt den ganzen Raum aus, die Wände verschwinden und ich versinke in dieser irrealen Atmosphäre. Archimandrit Seraphim hat so bewegend und ergreifend diesen Ort beschrieben, als komme er den Wünschen der Tausenden von Pilgern entgegen: "In Bulgarien gibt es einen wunderschönen Gebirgswinkel, wo die Erde mit dem Himmel zusammentrifft. Er ist so schön, dass er mehr dem Paradies als der irdischen Welt ähnelt. Dort sind die Gipfel drohende gezackte Felsen, so hoch wie Säulen, die das Himmelsgewölbe stützen und das ganze Gebirge zu einem wundersamen Gotteshaus werden lassen. Dieses bezaubernde Gotteshaus ist das Rilagebirge. Dessen Altar ist das Rilakloster und dessen Priester der allgemein gepriesene hochehrwürdige Ioan von Rila."

Ach, hätte ich Flügel und könnte ich für einen kurzen Augenblick hinüberfliegen und niederknien am Sarg mit den wundertätigen Gebeinen des heiligen Ioan! Ich möchte sehnlichst nach Bulgarien "dem Land, das ich auf der Welt am meisten liebe". Es ist "ein Paradiesgarten", wie es in den Liedern heißt, man sehnt sich ewig danach. Ich singe im Stillen einen Lobgesang, denn auf diese Weise höre ich die Worte in meinem Inneren und sehe "den stolzen Balkan", die blaue Donau, die thrakische Ebene inmitten deren "die Mariza sanft sich schlängelt", das stürmische Schwarze Meer und das von der Sonne beschienene Piringebirge!

"Liebes Heimatland, du bist das Paradies auf Erden!
Deine Schönheit, dein Reiz
Ach, sie nehmen kein Ende!"

Du bist einzigartig, unverwechselbar für mich in der Welt genauso wie meine Mutter, die mich geboren hat. Du kannst für mich nie "eine zweite Schweiz" sein, genauso wie meine leibliche Mutter nicht "eine zweite" sein kann.

Und warum will man aus dir eine zweite Schweiz machen? Ich verstehe es nicht. Nie wechseln die Schweizer Banken nach Bulgarien über, genauso wie deine Sonne nie von ihnen zu kaufen wäre. Die Schweizer Uhren machen durch ihre Pünktlichkeit ihre Heimat weltberühmt, deine schmackhaften Früchte und Gemüse voller Sonne, können mit ihnen wetteifern. Die saftigen Schweizer Almen, auf denen die berühmten Schweizer Kühe weiden, sind nicht schöner als deine Gebirgsweiden und das graue Balkanrind.

Die Schweizerbürger, die Bulgarien besucht haben, bringen in ihre Heimat ihre Bewunderung für die Schönheit dieses bezaubernden Balkanlandes mit. Sie erzählen von Sofia, Plovdiv, Varna, Tarnovo, Koprivschtiza, zeigen Andenken, Gemälde und Ikonen, die sie in Bulgarien gekauft haben, bewundern die mysteriösen bulgarischen Stimmen, die durch den Zauber ihrer Kunst Begeisterung hervorrufen. Die Männer huldigen unverhohlen der in Bulgarien blühenden weiblichen Schönheit und die Frauen sind entzückt von der warmen Aufnahme und der Gastfreundlichkeit der Bulgaren.

Ich höre mir das alles an und bin zutiefst gerührt. Wie loben diese Leute nur das sonnige Bulgarien und lieben doch ihre Schweiz und würden sie nie eine "zweite" nennen.

Bulgarien ist Bulgarien auf dem Balkan. Das ist es auch in Europa und in der Welt. Das ist es auch in meinem Herzen. Wenn ich möchte, dass es ein bisschen der Schweiz ähnelt, würde ich mir wünschen, dass die staubigen Straßen mit glattem Asphalt bedeckt werden, dass es überall Kanalisation und Transport gibt, dass die persönliche Freiheit und das Recht des Menschen geachtet wird und dass solch eine Demokratie wie in der Schweiz verwirklicht würde. Wäre das so schwierig zu erreichen?

Meine leidgeprüfte Heimat braucht Liebe, welche die ihr zugefügten Wunden heilt... vielleicht nach dem System meines Freundes Dr. Hahnemann: in kleinen toxischen Dosen! Die große Dosis, nämlich wie die Schweiz zu werden, würde es tödlich verwunden, ihre "Lebenskraft" zerstören. Dem Ähnlichen mit Ähnlichem! Bulgarien mit dem Bulgarischen! Unser nationales Selbstbewusstsein, unsere Bräuche, Lebensweise, Religion und Kultur. Es soll auch eine kleine Dosis schweizerische "Qualität" hinunterschlucken, dies wird "ihr seelisches Gleichgewicht wiederherstellen". Und wir, ihre Kinder, dürfen es nicht mit diesem "an zweitem Platz" beleidigen und es nicht vor der Welt beschimpfen! Es gibt nichts Traurigeres als die "falsch verstandene Zivilisation".

Leider haben nicht wenige Landsleute von mir die Bedeutung von Wörtern wie Patriot, Eiferer, verlernt. Bulgarien ist in ihren Augen beinah "das schwarze Schaf" geworden. Sie erzählen mit zornerfüllter Stimme von den "negativen Seiten", wollen jedoch nicht begreifen, dass die Schuld daran nicht die Heimat trägt, sondern die Leute, die sie fünfundvierzig Jahre lang regiert haben. In solchen Fällen denke ich immer an den skythischen Weisen Anacharsis, den ein Athener einen "skythischen Barbaren" genannt hatte. Darauf antwortete der weise Anacharsis: "Möge mir meine Heimat zu Schande gereichen, deiner gereichst du jedoch zu Schande."

An Bulgaren, die auf das innige Gefühl "Einen Bulgaren mich zu nennen, ist für mich die höchste Freude" herabsehen, die innerhalb weniger Jahre im Ausland ihre Muttersprache verlernt haben, denn sie sei für sie "die allerletzte Sorge", die stets angeben, dass sie sich besser auf Französisch als auf Bulgarisch verständigen, die sogar auf ihren bulgarischen Pass verzichten, indem sie die letzten Spuren ihrer Herkunft zu löschen versuchen, an solche Bulgaren hat vor 240 Jahren der ehrwürdige Paisij von Hilendar aus dem Inneren seines mit Schmerz und Liebe erfüllten Herzen den bitteren Vorwurf gerichtet: "Oh du Unvernünftiger, weshalb schämst du dich, dich einen Bulgaren zu nennen und sprichst und liest deine Sprache nicht?"

 

 

© Tania Schellhorn
© Zlatka Parpulova, übersetzung
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© E-magazine LiterNet, 14.03.2007, № 3 (88)

Other publications:
Tania Schellhorn. Dem Ähnlichen mit Ähnlichem. Plovdiv: Lettera, 2003.