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Aus „DARINA“ KAPITEL 7 Tania Schellhorn Darinas Schlaf war irgendwie unruhig. Im Halbschlaf vernahm sie wie jemand um sie herumwandelte, sie berührte, als wollte er sie streicheln, und weit aufgerissene Augen durchbohrten sie im dunklen Zimmer. Sie hörte aufgeregtes Flüstern und leichte, huschende Bewegungen. Sie dachte, sie träume von ihren sieben Matrjoschkas, welche sie schon lieb gewonnen hatte. Dann herrschte Stille und sie sank in Schlaf. Nach einigen Stunden öffnete sie jedoch die Augen und knipste die Nachttischlampe an - es war halb sechs. Sie machte das Licht aus und versuchte ein wenig zu schlafen, aber... seltsame Gedanken gingen ihr durch den Kopf! „Wie wäre die ganze Handlung abgelaufen, wenn sie von beiden Gegensätzen ausgegangen wäre: der Tugend und der Sünde!“, flüsterte sie aufgeregt. „Zum Beispiel wenn an die Stelle von Matrjoschtschiza die erste Haupttugend, die DEMUT, treten würde und an Matrjonas Stelle - die erste Todsünde, die ÜBERHEBLICHKEIT?! Dazwischen reihen sich die verschiedenen Leidenschaften, die sich im Menschen einnisten und ihn allmählich auf das höchste sündhafte Podest steigen lassen, von dem aus er, wenn er sich nicht rechtzeitig besinnt, direkt in den Abgrund stürzt!“ Sie fing an, die verschiedenen Leidenschaften den einzelnen Matrjoschkas zuzuordnen. Die dumme Eitelkeit, mit der das ganze Unglück anfängt, setzte sie an die Stelle von Matrjoschtschinka. Gleich daneben ordnete sie die Ruhmbegierde, d. h. die Jagd nach leerem Ruhm, die Matrjoschinkas Platz belegte. Den Hochmut und die Selbstgefälligkeit, die Hand in Hand gehen, setzte sie an die Stellen von Matrjoschka und Matrjonka und die Wichtigtuerei als der ersten Todsünde am nächsten stehende, nahm den Platz von Matrjoscha an. Und das endlose Spiel begann ... Darina sah, wie jede nachfolgende Puppe eine immer größere Leidenschaft in sich barg, die mit Zunahme des äußeren Volumens an und für sich schwerer wurde und allmählich zur Auflösung kam: Genauso wie es mit Matrjona passierte! Diese besann sich jedoch rechtzeitig, indem sie aufrichtig ihre Verfehlungen bereute. Und siehe da, was dabei herauskam: Sie fing an zu schrumpfen, wobei sie ihren Blick auf Matrjoschtschiza senkte. Je kleiner sie wurde, d. h., je mehr sie sich von ihren Leidenschaften befreite, desto mehr wuchs sie in den Augen der anderen, die ihrem Beispiel folgten. „Wie kann ich es mir einfacher erklären?“, fragte sich Darina. Plötzlich ähnelte ihr Matrjona einer großen Null, die keinen Wert besaß. Andere, kleinere Nullen umgaben die übrigen. Von der Seite geschaut, wackelten sie im Raum nebeneinander, blieben jedoch bloß Nullen, ohne jegliche Bedeutung. Einzig die kleine Matrjoschtschiza, die bescheiden ihr Köpfchen gesenkt hatte, ähnelte... einer Eins! „Ich stelle sie vor alle anderen und dann...“, flüsterte voller Freude Darina und schon sah sie, wie die große Zahl geschrieben wurde... aber es geschah etwas Unerwartetes: Bevor sie den Wert bestimmen konnte, sah sie Matrjoschtschiza erschrocken an und verschwand vor ihrem Blick. Es blieben nur die bloßen Nullen. „Ich verstehe, du hast Angst der riesengroßen Matrjona entgegenzutreten“, sprach sie libevoll zu der kleinsten Puppe, „deshalb nehme ich sie weg!“ Und sie strich die große Null. „Jetzt kannst du dich zeigen!“ Matrjoschtschiza zeigte sich jedoch nicht und Darina beschloss auch Matrjoscha zu streichen. Die ersten zwei großen Puppen flößten auch ihr selber Angst ein. Sie bargen doch in sich die Sünden, die Gott am meisten verhasst waren. Bei diesem Gedanken sah sie ein, dass Matrjoschtschiza nicht erscheinen würde, bis sie auch Matrjonka und Matrjoschka nicht beseitigt hat, da beide zwei Leidenschaften hatten, die die anderen, größeren, nährten. Sie wischte sie gleich weg, aber es veränderte sich nichts, nur dass zwei einsame Nullen blieben. Betreten, befreite sich Darina von Matrjoschinka, die gewohnt, nur gelobt zu werden, in Tränen ausbrach. Die eitle Matrjoschtschinka glotzte irgedwie dämlich und verschwand. Erst jetzt erschien die winzige Matrjoschtschiza und lächelte lieblich. Um sie herum flimmerte ein silberner Schein, sie stellte sich in dessen Mitte in der Gestalt einer bescheidenen Eins und die wundersame Münze glänzte noch stärker. „Der wahre Wert also liegt nur in dir verborgen...“, sprach Darina leise. „Und alle übrigen können einen Wert nur dann bekommen, wenn du dich vorne stellst.“ Matrjoschtschiza nickte schüchtern. „Gut, jetzt fangen wir in umgekehrter Reihenfolge an und holen zuerst Matrjoschtschinka!“ Die silberne Münze verdunkelte sich im Nu und Matrjoschtschiza verschwand. Darina lag wie erstarrt im Bett und wandte ihren Blick nicht von der Stelle ab, an der sie kurz vorher die wunderbare Erscheinung betrachtet hatte. Sie wusste, dass der Schlaf ihr fliehen würde, bis sie ihren Liebling nicht wieder gesehen hat. Ja, das endlose Spiel ging weiter - je länger sie sich darauf einließ, desto mehr wurden seine Schachbrettfelder. Klick, es öffnete sich noch ein verborgenes Schächtelchen in ihrem Gedächtnis und erinnerte sie an jene Legende, die sie einmal ins Erstaunen versetzt hatte. Darin ging es um den persischen Scheich, dem das Schachspiel so gut gefiel, dass er seinen Erfinder reich belohnen wollte. Dieser bat den Scheich ihm für das erste Schachbrettfeld ein Weizenkorn, für das zweite zwei Körner, für das dritte, vier usw., d. h. ihn mit jedem folgenden Feld mit zweimal mehr Körner als für das vohergehende zu belohnen. Der Scheich war über diesen Wunsch enttäuscht, ließ ihn jedoch gewähren. Als die Weisen anfingen, die gesamte Kornmenge auf allen vierundsechzig Schachbrettfeldern zu berechnen, kam es heraus, dass dafür der Weizen nicht nur des ganzen Landes, sondern auch der ganzen Welt nicht ausreichen würde. Darina hatte gleich angefangen diese Weizenkörner zu berechnen und war erstaunt über das ungewöhnliche Ergebnis. Die Zahl multiplizierte sich unglaublich schnell und sie konnte sie nicht ausrechnen, denn bis dann war ihr nicht die monströse Zahl „Quintillion“ begegnet. Sie schlug das Wort im Lexikon nach und verstand, dass dies eine Eins mit 30 Nullen ist. Um diese bemerkenswerte Legende nicht zu vergessen, schrieb sie im Lexikon mit Bleistift über QUINTILLION 18,5 Körner. Dieser Menge entsprach die verlangte Belohnung, die den Scheich mit ihrer Bescheidenheit verwundert hatte. Sie fragte sich, ob die Weisen je die Körner genau haben berechnen können!? Jetzt erkannte sie, dass etwas Ähnliches auch mit den Matrjoschkas passierte - ein jedes Spiel von ihnen multiplizierte sich mehrfach und gab einem die Möglichkeit es bis ins Unendliche fortzusetzen. Da sie nicht mehr einschlafen konnte, beschloss sie noch eine Partie zu spielen, bevor sie aus dem warmen Bett schlüpfte. Nachdem sie sich mit der interessanten Legende abgelenkt hatte, begriff sie jetzt ganz gut, warum Matrjoschtschiza sich nicht zeigen wollte - der Grund waren die unterschwelligen Leidenschaften. „Im Spiel wird man mit den Dingen schneller fertig als im Leben, aber das nur, wenn man die Regeln gut beherrscht“, sprach sich Darina selber Mut zu. „Ist das nicht der Fall, dann wirst du immer verlieren! Versuchen wir es also!“ Schnell holte sie Matrjoschtschinka, vertrieb aus ihr die dämliche Eitelkeit und stattete sie mit natürlicher Ungezwungenheit aus. Matrjoschtschiza erschien gleich, beide fassten sich bei den Händen und auf ihnen glänzte die Zahl zehn. Immer noch weinend, tauchte Matrjoschinka auf, sobald sie aber die silberne Zehn erblickte, begriff sie den ganzen Unsinn der Ruhmbegierde und diese schmolz an der Würde der Bescheidenheit zusammen. Sie trat an die zwei anderen heran und leistete, ohne sich aufzudrängen, ihren Beitrag. Die Zahl hundert vereinigte sie und sie nahmen sich vor, nie mehr auseinander zu gehen. Matrjoschka und Matrjonka sprangen gleichzeitig heraus und die hochmütigen Gesichter der Selbstgefälligkeit und der Überheblichkeit wurden durch das strahlende Lächeln der Warmherzigkeit und Selbstlosigkeit umgewandelt. Sie gesellten sich zu der bescheidenen Ersparnis und diese kletterte auf Tausend und gleich danach auf zehntausend. Matrjoscha, die in der Diensthierarchie über allen stand, hatte bisher immer versucht, ihrer Chefin Matrjona nachzueifern, begriff jedoch nach dem Gespräch über deren Zerlegen, dass die Wichtigtuerei einfach eine Null ist. Sie schaute ihre Untergeordneten gnädig an und ihr Herz füllte sich mit Milde. Dann reihte sie sich ein, öffnete großzügig die Hände und die Zahl stieg auf den beträchtlichen Betrag von hunderttausend an. Während Matrjona den wundersamen Wandel ihrer Untergebenen beobachtete, liefen ihr Tränen über die Wangen, die das ganze Überlegenheitsgefühl auflösten. Wolken von Seufzern entrangen sich ihr, die Überheblichkeit schrumpfte zunehmend und lief beschämt weg. Matrjona fühlte ihre starke Bindung an diejenigen, die sie bisher herumkommandiert hatte, Mutterliebe bemächtigte sich ihres Herzens und sie belohnte ihre Nächsten mit einem Kapital von einer Million! Darina atmete erleichtert auf und ließ diese lieben Puppen ihren Sieg feiern. Um sie nicht durch ihren Blick zu stören, zog sie die Decke übers Gesicht und kuschelte sich darunter. Schani schnurrte und sie fühlte erst jetzt seine Anwesenheit - diesmal lastete er nicht auf ihren Füßen, sondern hatte sich abseits auf der flaumigen Steppdecke ausgestreckt. Sie liebkoste ihn und er schlief wieder ein. Das Märchen von den sieben Schwestern-Matrjoschkas, die die sieben Todsünden oder die sieben Tugenden verkörperten, könnte länger als Tausendundeine Nacht erzählt werden! Es hat seinen Anfang genommen, wie sich jedoch die Handlung innerhalb der übrig gebliebenen tausend Nächte entwickeln würde, war nicht abzusehen. Darina wusste, dass der Kampf schwer sein wird und Erfolg und Niederlage ständig wechseln würden. Das erste Weizenkorn wurde jedoch auf ein Schachbrettfeld gelegt und sie war verpflichtet den Befehl des persischen Scheichs zu befolgen. Sie wusste, dass sie sich mehrmals vergrößern und genauso oft verkleinern wird; sie wird irgendwo in der Mitte schwanken, unschlüssig, ob sie weitermachen oder verzichten soll; sie wird sich über den wachsenden Irrtum freuen und die erlösende Wahrheit wird sie verbittern; sie wird satt sein und dann wieder hungrig; Reichtum und Armut werden ihre Seele peinigen, die sich freuen und leiden wird. Und schon jetzt fühlte sie, dass die winzige Matrjoschtschiza sie immer erretten würde, wenn sie ihr ihr Herz zuwende. Mögen heftige Stürme wüten, ihre wertvolle Eins wird ihr immer beistehen. „Ich muss Matrjoschtschiza am meisten behüten, denn ohne ihre Demut würden meine Tugenden lauter Nullen sein!“, flüsterte Darina. Sie wollte, nachdem sie sich die sieben russischen Puppen gekauft hatte, ein Weizenkorn in die kleinste legen und sich darum bemühen, es nie zu verlieren. Kaum hatte sie es gedacht, da flog ein schwarzer Vogel herbei und raubte das Körnchen. Matrjoschtschiza begann zu weinen und löste sich in Staub auf... „Nein, nein, nein! Nie werde ich der siebenten Todsünde erlauben in sie zu fahren!“, schrie Darina und richtete sich zitternd im Bett auf. Schani erschrak und verschwand aus dem Zimmer. „Ich werde nie zulassen, dass die Verzweiflung sich meiner Seele bemächtigt!“ Die kurze Vision war wirklich makaber und sie verstand sehr gut ihre Bedeutung. Bisher hatten sich die gespielten Partien multipliziert und neue, ungeahnte Möglichkeiten auf dem Schachbrett eröffnet. Um eine Zahl, sogar viel kleiner als eine Quantillion zu erreichen, war nicht nur Kampf, sondern auch eine beträchtliche Unterstützung nötig. Und eine solche konnte durch keinen Menschen gewährt werden! „Ich danke Dir, mein Gott, für alle Deine Wohltaten mir gegenüber!“, flüsterte Darina leise und setzte lächelnd hinzu: „Ich danke Dir, dass Du mich ‚auf halbem Weg des Menschenlebens‘ in das mysteriöse Geheimnis der unikalen Matrjoschkas eingeweiht hast!“ Sie schlug die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Durch die Ritzen der Jalousien spähte sie nach draußen. Die Dämmerung wurde schon durch das Licht des Tages verscheucht. Noch ein Tag und der Monat, in dem sie geboren wurde, zog sich für immer in die Gemächer der Ewigkeit zurück. Er hat ihre einundfünfzig Jahre vermerkt und nun ging er zufrieden weg. „Was zwingt mich dazu immer den Ausdruck zu wiederholen: ‚Auf halbem Weg des Menschenlebens‛?“, staunte Darina. „Nach Dante war ich auf dem halben Weg des Menschenlebens, als ich zum ersten Mal in die Schweiz kam... aber seitdem...“, doch dann besann sie sich und wiederholte nur: „Hm, nach Dante ist es so, aber nach ...“, sie sprach ihren Satz nicht zu Ende, sondern schlug die Bibel auf, die auf dem schwarzen Schrank lag. „Ja ich weiß, es war irgendwo am Anfang von Genesis, als Gott es bereute, den Menschen geschaffen zu haben und in seinem Zorn bestimmte, dass sein Erdenleben auf hundertzwanzig Jahre gekürzt werde“, versuchte sie sich es ins Gedächtnis zurückzurufen. „Ja, hier, ich habe es...“ Und sie las laut den folgenden Text: „Da sprach Jahwe: ...seine Lebenszeit soll nur hundertzwanzig Jahre betragen“ (Gn 6, 3). Dann richtete sie den Blick auf die nachfolgenden Zeilen und las: „Da reute es Jahwe, dass er die Menschen auf Erden gemacht hatte und er grämte sich in seinem Herzen“ (Gn 6, 6). Darina drückte die Heilige Schrift an ihre Brust und flüsterte mit Augen voller Tränen: „Grenzenlos ist Deine Gnade, großherziger Gott. Und wenn Deine Strafe ‚hundertzwanzig Jahre‛ Lebenszeit ist, welche wäre die Belohnung für diejenigen, die Dir gefällig waren!“ Sie küsste das heilige Buch und legte es auf den Schrank, dann trat sie an die Ikone des Erretters heran und betete voller Demut zu ihm: „Füge meinem Leben noch Jahre und Tage an, damit ich wie die alttestamentlichen Könige Ezechiel und Manasse alle meine Sünden bereuen und Dir mit Herz und Seele dienen kann.“ Amen. Sie zog die Jalousien im Wohnzimmer hoch, erblickte das Licht des anbrechenden Tages und bereitete sich vor, ihn ruhig mit all seinen Prüfungen zu empfangen.
* * * Wie leicht wird es einem ums Herz, wenn die Unentschlossenheit schwindet! Wie schön wird es in der von Freude und Hoffnung beflügelten Seele! Die herzbeklemmende Atmospäre verflüchtigt sich durch das starke Licht, das alle Betrüge an den Tag zieht: Du verstehst, was nötig ist und keiner kann dich von dem gefassten Entschluss abbringen. Du atmest tief ein und hast das Gefühl, dass du lebst! Wer eine schwere, unerträgliche Last auf dem Rücken getragen und lange Zeit nicht die Energie gefunden hat sie abzuwerfen, der kennt sehr gut die wieder belebende Kraft der Entschlossenheit! Das geheimnisvolle Lächeln blieb auf Darinas Gesicht auch dann, als sie vor ihren Puppen, an verschiedenen Plätzen aufbewahrt, stehen blieb, die sie mit viel Beharrlichkeit und Geduld behauptet hatte. Dann nahm sie Erta von dem „gehörnten“ Kleiderständer herunter, trug sie ins Wohnzimmer und beide setzten sich in den schwarzen Ledersessel. Sie schauten durch die weißen Gardinen auf den Schnee draußen und sprachen lautlos miteinander. Die großen Augen begegneten Darina mit liebevollem Verständnis und Unterstützung. Sie drückte die phantastische Schöne an sich und der Wunsch mit ihr zu spielen wurde mit jeder Minute stärker! „Ich werde dir nie mehr ‚Leb wohl‛ sagen, weder dir noch den anderen!“, sprach Darina leidenschaftlich und setzte sie in den Sessel. Dann ging sie ins Schlafzimmer, holte Ertas Drehstuhl und den resedafarbenen Umhang, richtete alles für den Anfang ihrer „C’est si bon-Show“ ein und beide flogen ins Reich der Freude! Das erste „Drehen“ ging unmerklich schnell zu Ende und Darina spulte die Arbeitskassette zurück. Ohne Müdigkeit oder Schmerz in der Schulter zu spüren, folgte sie Erta, die wusste, was sie suchte: einen Mann, der ihr sein Bestmöglichstes zu geben vermochte! Und das war so schön für sie! „C’est si bon! O, merci beaucoup, Erta!“, küsste Darina die Puppe, mit der sie zum letzten Mal in Zürich gearbeitet hatte. „In dieser kurzen halben Stunde hast du etwas getan, worum dich jeder Psychologe beneiden würde!“ Sie küsste noch einmal die geringelten Locken und legte die Puppe vorsichtig in die Pappschachtel auf dem Schrank. Sie drehte seine schwarzen „Hörner“ beiseite, die sie eigentlich nicht störten, und klopfte auf das resedafarbene Schuhchen darüber: „Jetzt weiß ich ganz bestimmt, was zu tun ist!“ Sie schaltete „Teri“ ein und zum ersten Mal kam er ihr ziemlich langsam vor. Sie ließ ihn sich in aller Ruhe programmieren und wählte währenddessen sieben verschiedene Aufnahmen aus den Puppenspektakeln und klebte sie an die Rückseite des Schreibtisches - genau vor ihren Blick. Hier sind alle ihre Puppen, ihr zugewandt - wird sie sich getrauen, sie zu belügen? Niemals! „Teri“ war schon längst fertig und erinnerte an sich mit einem leisen Summen, das sie in süßes Träumen wiegte, und sie schaute hingerissen auf ihre Puppen hinter seinem Rücken. Plötzlich spürte sie jemandes Blick auf sich und senkte die Augen zu dem blauen Bildschirm. Darauf lächelte geheimnisvoll das Bild von Dr. Hahnemann, der der Grund für ihr erstes Buch war. Darina saß unbeweglich und konnte ihre Augen nicht von ihm abwenden. Je mehr sie ihn ansah, desto lebendiger wurde sein Lächeln! Sie schaute die Fotos genauer an, dann sah sie das Bild und es schien ihr, als nicke er ihr aufmunternd zu. „Ich verstehe...“, sagte Darina verwundert. „Meine Puppen können zum Leben erweckt werden nur, wenn du mit ihnen bist...“ Wie in einem Dämmerzustand klickte sie mit der Maus, öffnete ein neues Dokument und war sich unschlüssig, wie sie es benennen sollte. „Vorläufig speichere ich es unter meinem Namen, dann wollen wir weitersehen...“, dachte sie und schrieb ins Kästchen Darina.doc. Sie schloss das Dokument und auf dem Bildschirm lächelte sie erneut Dr. Hahnemann an. „Was willst du mir sagen, Dr. Christian?...“ Und bevor sie die übrigen zwei Namen Friedrich Samuel aussprach, öffnete sie mit einem zitternden „klick“ das neue Darina-Dokument. Sie schrieb auf der ersten Seite ihren Namen groß und auf der nächsten, unter dem ersten Kapitel, reihte sie die folgenden Worte aneinander: „Dr. Christian und seine Gesellschaft“! Der Filmstreifen drehte sich zurück und sie sah sich, in den schwarzen Theaterkleidern angezogen, im schwarzen Sessel mit halb verschlossenen Augen unbeweglich sitzen. Es war Sonntag auf Montag, nur vor drei Tagen, sie hatte aber das Gefühl, dass seitdem viel Zeit verstrichen war ... Im Gegensatz zu den Erinnerungen - da raste die Zeit und die Jahre vergingen wie im Nu! „Diese variable Größe ist einfach nicht greifbar“, blinzelte Darina mit den Augen. „Ich muss mich tatsächlich beeilen, denn ‚die Tage sind böse‛ (Eph 5,16). Deswegen haben die Römer ja behauptet: „Jeder Mensch kann irren, im Irrtum verharren wird nur der unkluge‛.“ Und indem sie sich zum großen Schrank umdrehte, sah sie ihr Gesicht im Spiegel und fragte es wie in dem Märchen: „Spiegel an der Tür, bitte, gib mir ein Zeichen: Bin ich ein Mensch oder unklug?“ Der Spiegel schwieg, womit er ihr deutlich zeigen wollte, dass sie es allein entscheiden soll: „Wiederhole deine Fehler nicht und dann kannst du dich einen Menschen nennen!“ „Ach, eine schwierige Sache!“, seufzte Darina. „Auch Apostel Paulus ist derselben Meinung, wenn er sagt: ‚Ich tue nämlich nicht das Gute, das ich will, vielmehr was ich nicht will, das Böse, das tue ich.‛ (Röm 7,19).“ Plötzlich, ohne jeden Zusammenhang, öffnete sich ein Schächtelchen und erinnerte sie so ohne weiteres an etwas, von dem zu sprechen einfach lächerlich war. Trotz aller Bemühungen den Unsinn zu verscheuchen, konnte sie sich davon nicht befreien; deshalb beschloss sie, ihn zu beachten, damit er sie endlich in Ruhe ließ. Einmal (sie wusste nicht mehr wann) versuchte jemand (sie erinnerte sich nicht wer) sie zu überzeugen, dass Salieri mehr Achtung als Mozart verdiene, weil er alles allein, mit viel Mühe erreicht habe, während Mozart es leicht gehabt habe, denn alles habe er als Gabe von Gott bekommen! Sie dachte zuerst, die Person, mit der sie sprach, scherze einfach. Als sie aber sein angespanntes Gesicht und die vor Zorn funkelnden Augen sah, begriff sie, dass das sein Ernst war. Sie versuchte ihre Achtung vor Salieri als einem talentierten Komponisten und Musikpädagogen auszudrücken. „Aber Mozart ist ein Genie...“, und bevor sie ihren Satz zu Ende sprechen konnte, unterbrach sie ihr Gesprächspartner wütend: „Er ist deshalb ein Genie, weil ihm alles gegeben worden war!“ Während Darina dem aufgeschlossenen Schächtelchen erlaubte, sich seines Inhaltes zu entledigen, lauschte sie aufmerksam seinem Flüstern. „Trotz allem hat jener Dummkopf die Wahrheit gesagt“, lächelte sie. „Aber damals haben wir beide noch nicht begriffen, dass das Göttliche gegeben und nicht auf menschlichem Wege erreicht wird!“ Deshalb hat sich gerade jetzt das verborgene Schächtelchen geöffnet, um sie darauf hinzuweisen, dass sie nie die Worte vergessen darf: „Denn ohne Mich könnt ihr nichts tun.“ (Jo 15,5). Und diese Seine Worte hat Jesus Christus durch die beiden Männer - Mozart und Salieri - bestätigt, was kein Zufall war! „Also erbarmt Er Sich, wessen Er will, und verstockt, wen Er will.“ (Röm 9,18). „O Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst?“ (Röm 9,20). Darina konnte sich nicht an den Mann erinnern, aber dieser zornige Blick hat sich ihr eingeprägt und er versuchte sie jetzt aufs Neue von der Richtigkeit seiner Worte zu überzeugen... oder sie einfach schwankend zu machen? Sie jedoch trug ihre Entschlossenheit wie einen Schild vor sich und gab der Versuchung nicht nach. Sie sah sich ihre Puppen auf den Fotos an, heftete dann den Blick auf das Bild im Computer und nickte überzeugt mit dem Kopf: „Ich vertraue fest in Gott und mit Seiner Hilfe werde ich mein Versprechen euch gegenüber einhalten!“ Sie öffnete wieder das neue Dokument und schrieb unter der Überschrift des ersten Kapitels: Um Mitternacht öffnen sich die Himmel und geben die himmlischen Geheimnisse preis!
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